Achtsamkeit

„Achtsamkeit bedeutet, auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen. Diese Art der Aufmerksamkeit steigert das Gewahrsein und fördert die Klarheit, sowie die Fähigkeit, die Realität des gegenwärtigen Augenblicks zu akzeptieren. Sie macht uns die Tatsache bewusst, dass unser Leben aus einer Folge von Augenblicken besteht. Wenn wir in vielen dieser Augenblicke nicht völlig gegenwärtig sind, so übersehen wir nicht nur das, was in unserem Leben am wertvollsten ist, sondern wir erkennen auch nicht den Reichtum und die Tiefe unserer Möglichkeiten zu wachsen und uns zu verändern. Achtsamkeit ist eine einfache und zugleich hochwirksame Methode, uns wieder mit unserer Weisheit und Vitalität in Berührung zu bringen.“


Jon Kabat-Zinn (2015). Im Alltag Ruhe finden. Meditationen für ein gelassenes Leben. Knaur Taschenbuchverlag

was brauchst du?

was brauchst du? einen Baum ein Haus zu
ermessen wie groß wie klein das Leben als Mensch
wie groß wie klein wenn du aufblickst zur Krone
dich verlierst in grüner üppiger Schönheit
wie groß wie klein bedenkst du wie kurz
dein Leben vergleichst du es mit dem Leben der Bäume
du brauchst einen Baum du brauchst ein Haus
keines für dich allein nur einen Winkel ein Dach
zu sitzen zu denken zu schlafen zu träumen
zu schreiben zu schweigen zu sehen den Freund
die Gestirne das Gras die Blume den Himmel

Elfriede Mayröcker


Wenn ein Kind ...

Wenn ein Kind kritisiert wird,
lernt es zu verurteilen.

Wenn ein Kind angefeindet wird,
lernt es zu kämpfen.

Wenn ein Kind verspottet wird,
lernt es, schüchtern zu sein.

Wenn ein Kind beschämt wird, lernt es,
sich schuldig zu fühlen.

Wenn ein Kind verstanden und toleriert wird
lernt es, geduldig zu sein.

Wenn ein Kind ermutigt wird,
lernt es, sich selbst zu vertrauen.

Wenn ein Kind gelobt wird,
lernt es, sich selbst zu schätzen.

Wenn ein Kind gerecht behandelt wird,
lernt es, gerecht zu sein.

Wenn ein Kind geborgen lebt,
lernt es zu vertrauen.

Wenn ein Kind anerkannt wird,
lernt es, sich selbst zu mögen.

Wenn ein Kind in Freundschaft aufgenommen wird,
lernt es, in der Welt Liebe zu finden.

Weisheit aus Tibet


Über die Dörfer

Spiele das Spiel.
Gefährde die Arbeit noch mehr.
Sei nicht die Hauptperson.
Such die Gegenüberstellung.
Aber sei absichtslos.
Vermeide die Hintergedanken.
Verschweige nichts.
Sei weich und stark.
Sei schlau, lass dich ein und verachte den Sieg.
Beobachte nicht, prüfe nicht, sondern bleib geistesgegenwärtig bereit für die Zeichen.
Sei erschütterbar.
Zeig deine Augen, wink die anderen ins Tiefe, sorge für den Raum und betrachte einen jeden in seinem Bild.
Entscheide nur begeistert.
Scheitere ruhig.
Vor allem hab Zeit und nimm Umwege.
Lass dich ablenken.
Mach sozusagen Urlaub.
Überhör keinen Baum und kein Wasser.
Vergiss die Angehörigen, bestärke die Unbekannten, bück dich nach Nebensachen, weich aus in die Menschenleere, pfeif auf das Schicksalsdrama, missachte das Unglück, zerlach den Konflikt.
Bewege Dich in deinen Eigenfarben; bis du im Recht bist und das Rauschen der Blätter süß wird.
Geh über die Dörfer.
Ich komme dir nach.

Peter Handke

Über die Geduld

Man muss den Dingen
die eigene, stille
ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt
und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann,
alles ist austragen –
und dann gebären …

Reifen wie der Baum,
der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer kommen könnte.

Er kommt doch!
Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,
so sorglos, still und weit …

Man muss Geduld haben
mit dem Ungelösten im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache
geschrieben sind.

Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt,
lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages in die Antworten hinein.

Rainer Maria Rilke

Therapiestunde

Ich möchte schreien, toben, quengeln können,
und spüren, dass es dir nicht gleich, doch gültig ist.

Ich möchte lachen und auch weinen dürfen,
und glauben, dass du etwas spürst dabei.

Ich möcht‘ verliebt sein dürfen und dich hassen,
bewundern dich
und auch verachten,
und wissen, dass du sicher bist und fest.

Ich möchte reden wie ein Wasserfall, ausufernd breit und
schweigen in Begrenzung,
und ahnen, dass du es verstehst.

Ich möchte mein Gesicht in deine Hände legen,
und fühlen, dass du heil mich finden kannst.

Ich möchte die Bedeutung all des wissen,
und spüren auch, wozu ich fähig bin.

Auch wenn es lang und mühsam für uns beide ist.


Lore Korbei

Ich freue mich …

Ich freue mich, wenn es regnet,
denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.

Karl Valentin