Introjektion
Zusammengefasst von Veronika Sima

Introjektion ist ein Mechanismus der Internalisierung. Der Begriff der Internalisierung leitet sich aus dem lateinischen Begriff internus ab und bedeutet „Verinnerlichung“. Die Persönlichkeitsentwicklung wird laufend durch Verinnerlichung von Auffassungen, Haltungen, Normen, Werten und vielem mehr beeinflusst, die von außen auf ein Individuum einwirken. Die Motivation für die Verinnerlichung ist das Stillen des menschlichen Grundbedürfnisses, in zwischenmenschlicher Verbindung zu sein. Ohne enge emotionale Beziehungen zu Menschen ist eine gesunde Entwicklung nicht gewährleistet.

Das Streben nach Bindung (s. dazu Bowlby 2014) führt dazu, dass auch destruktive Kräfte internalisiert werden. Erlebbar wird dies, wenn Menschen neben reflektierten und authentischen Wesenszügen Eigenheiten aufzeigen, die in Bezug auf die sonstige Wahrnehmung der Gesamtpersönlichkeit unpassend erscheinen. Dieses Phänomen zeigt sich in einem breiten Spektrum an Erscheinungsformen: von sich immer wieder manifestierenden „schlechten Angewohnheiten“ bis hin zu schwerwiegenden zerstörerischen Denk-, Erlebens- und Verhaltensmustern. 

Aber wie passiert diese Verinnerlichung? Warum ist es uns nicht möglich, diese offensichtlich destruktiven Muster zu kontrollieren und uns einfach abzugewöhnen in dem Moment, wo uns bewusst wird, dass diese sind, wie sie sind - unerwünscht, hinderlich, bis hin zu zerstörerisch?

Der Psychoanalytiker Sándor Ferenczi (1912), auf den die Begriffsbezeichnung in diesem Zusammenhang zurückzuführen ist, beschreibt Introjektion als einen Vorgang der „Ausweitung des Ichs“. Der Mensch könne ursprünglich nur sich selbst lieben. Entwickelt sich im weiteren Lebensverlauf ein Interesse für ein „Objekt“ in der Außenwelt, nimmt der Mensch das Objekt in sein Ich auf (lat. intro - „hinein“, „herein“ und iacere - "werfen“). Veranschaulichen lässt sich dies beispielsweise damit, dass jemand alles Leid, das dem von ihm geliebten Objekt angetan wird, als sein eigenes spürt.

Werte und Normen nahe stehender Bezugspersonen werden somit „einverleibt“, egal, ob sie richtig oder falsch sind. Triebfeder für die Verinnerlichung ist die Suche nach Nähe und Schutz - vom gesunden und genetisch determinierten Bedürfnis bis hin zum überlebensnotwendigen Bewältigungsversuch in Abhängigkeitssituationen (vgl. Bindungstraumatisierung). So kommt es, dass auch Werte und Normen introjiziert werden, die vom eigenen Verständnis und Wollen der Person abweichen.

Luise Reddemann (2017) fasst Introjektion als einen Vorgang zusammen, bei dem es zu einer Assimilation von verinnerlichten Gefühlen, Gedanken und Verhalten einer anderen Person kommt, die zu Selbstanteilen werden, den sogenannten Ego states (s. dazu Watkins & Watkins 2012). Dadurch werden sie nicht als fremd erlebt. Sie bezieht sich auf die Hirnforschung, die neuerdings besagt, dass Kinder aufgrund von noch nicht ausreichenden Steuerungsmöglichkeiten von Spiegelneuronen gar nicht anders können, als das, was andere vormachen und vorleben zu imitieren. „Für ein Kind (...) ist es daher auch aus biologischen Gründen nicht zu umgehen, dass es handelt, fühlt und denkt wie der Täter.“ (Reddemann 2017, S. 136) Den Vorgang der Introjektion von Normen im Zusammenhang mit destruktiven Kräften beschreibt sie konkret als einen Schutzvorgang, der einen Menschen in traumatischen Situationen vor überwältigender Ohnmacht schützt. „Lebt der Täter im Selbst, ist die Tat richtig, und es gibt damit quasi keine Ohnmacht.“ (ebd., S. 136)

Als unerträgliche, mitunter tödliche Angst beschreibt Arno Gruen (2015) das Bewusstsein, wenn Kinder, also hilflose Wesen, auf Eltern physisch und psychisch angewiesen sind, die ihnen aber kalt und gleichgültig gegenüberstehen. Daher würde das Überleben der Kinder davon abhängen, sich mit den Eltern zu arrangieren, insbesondere dann, wenn diese kalt, gleichgültig, grausam oder unterdrückend sind. Um seelisch zu überleben brauchen Kinder von den Eltern Liebe, Geborgenheit und Schutz. Ist dies nicht gegeben, „kann das Kind die Eltern nur unter der Voraussetzung als liebevoll erleben, dass es ihre Grausamkeit als Reaktion auf sein eigenes Wesen interpretiert. Die Eltern sind grundsätzlich gut; wenn sie einmal schlecht sind, dann ist es unsere eigene Schuld. (...) Damit übernimmt das Kind die lieblose Haltung der Eltern sich selbst gegenüber“. (ebd., S. 14) 

 

Literatur

Bowlby, J. (2014). Bindung als sichere Basis: Grundlagen und Anwendung der Bindungstheorie. München: Ernst Reinhardt Verlag

Ferenczi, S. (1912). Zur Begriffsbestimmung der Introjektion. In: Schriften zur Psychoanalyse 1908 - 1933. WWW: textlog.de. Zugriff am 07.02.2019

Gruen, A. (2015). Das Fremde in uns. München: Deutscher Taschenbuch Verlag

Reddemann, L. (2017). Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie. PITT - Das Manual. Ein resilienzorientierter Ansatz in der Psychotraumatologie. Stuttgart: Klett-Cotta

Watkins, J.G. & Watkins, H.H. (2012). Ego-States. Theorie und Therapie. Ein Handbuch. Heidelberg: Carl Auer

Veronika Sima © 2025

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